Wird die CeBIT für die Digitalisierung in Deutschland gebraucht?
„Wenn Aussteller markant nachhaltig nicht begreifen, dass das Verharren in der alten Zeit des Frontalunterrichts Pestalozzischer Prägung der neuen Messe jede Chance nimmt. Wir sind das Überlebensproblem.“
Diese markigen Worte zur gerade stattgefundenen CeBIT kommen von einem bekannten Granden der IT-Branche und sprechen Bände. Denn sie zeigen exemplarisch, wo die tatsächlichen Probleme des digitalen Wandels in Deutschland liegen.
CeBIT: Besucherrückgang um 40 Prozent
Worum geht´s also. In erster Linie um die CeBIT. Die völlig neu konzipierte Messe lockte lediglich 120.000 Menschen auf das Messegelände in Hannover. Und das ist nicht nur ein leichter Rückgang gegenüber 2017, sondern entspricht einem satten Minus von 40 Prozent. Man muss nicht lange um den heißen Brei reden, aber von der Bedeutung einer Weltmesse hat sich dieses Format somit wirklich verabschiedet, zumindest vorerst. Nur mal so zum Vergleich: bauma in München (alle zwei Jahre, letzte Messe 2016): 580.000 Besucher, Hannover Messe (2018) 210.000 Besucher.
Auf der Haben-Seite steht jedoch ein mutiger Neuanfang, ein nur auf den ersten Blick lächerliches Riesenrad, das tatsächlich viel mehr als eine Kirmesattraktion war, zahlreiche neue Infotainment-Formate und vor allem eine große Menge junger Besucher. Etwas, das die Chance auf eine Fortsetzung verdient hat, und letztlich auch ein großes Risiko, das die Deutsche Messe AG damit eingegangen ist. Kurz und gut: No Risk, no Fun – selten war dieses Zitat treffender.
Aussteller, die sich dem Wandel verschließen
Auf der Soll-Seite – und das muss auch einmal in aller Deutlichkeit gesagt werden – stehen etwa risikoaverse und vor allem ewig nörgelnde Aussteller. Denn man kann der Messe nicht ernsthaft jahrelang vorwerfen, dass sie sich Veränderungen verschließt und dann, wenn sie es wirklich radikal angeht, ihr ebenso ankreiden, dass dieser Wandel zu gründlich vollzogen wurde. Stattdessen hätten einige Aussteller einfach mal mitziehen sollen.
Aber so kam es an einigen Ständen und auf vielen Podien zu genau dem Bild, das den von mir sehr geschätzten IT-Unternehmer zur Weißglut treibt: Man gibt sich halt ein wenig salopper, wechselt vom Anzug in das Polohemd und streicht den Stand bunt statt blau an. Hinter dieser Fassade lauert dann aber die ewig gleiche Dauerbeschallung. Man gibt sich den Kunden als der IT-Weltversteher, der es nötig hat, in Propagandisten-Manier das Vertriebs-Maschinengewehr abzufeuern. Salve um Salve bohren sich dann Sätze wie von Aale-Dieter auf dem Hamburger Fischmarkt in den Gehörgang der CeBIT-Besucher. Wobei das Aale-Dieter sicher mit mehr Herzblut macht.
Echte Bereitschaft zum Wandel fehlt
No Risk no Fun. Ein Risiko einzugehen, heißt eben Chancen zu erkennen und neue Wege zu gehen. Das Ganze muss dann wahrhaftig sein und von ganzem Herzen kommen. Es muss die Bereitschaft vorhanden sein, den Wandel tatsächlich auch zu wollen. Diese Haltung ist essentiell für die gesamte Digitalisierung. Stattdessen fehlt die Bereitschaft, der Wandel wird nur halbherzig angegangen, womit dieser letztlich verhindert wird. Das zeigt sich übrigens nicht nur auf der CeBIT, sondern auch bei zwei weiteren Fehltritten dieser Tage, dem Leistungsschutzrecht und der DSGVO.
Keine Frage: Vor allem die DSGVO ist im Kern aus meiner Sicht weiterhin richtig. Sie bringt den Datenschutz endlich auf das Niveau, das ihm zusteht und macht deutlich, dass Datenschutz und Datensicherheit immer mehr zusammenwachsen. Aber: Die tatsächliche Umsetzung ist, wie auch beim Leistungsschutzrecht, mangelhaft halbherzig. Anstatt Digitalisierung und den Verbraucherschutz in Einklang zu bringen und der Lebenswirklichkeit des Verbrauchers anzupassen, wird hier Lobbyismus betrieben und werden digitale Grundlagen durch bürokratischen Wahnsinn nachhaltig zerstört. Nicht ohne Grund fordern Fachleute hier massive Nachbesserungen, müssen Risiko und Chance miteinander in Einklang gebracht werden.
Wandel bedeutet Veränderung, bedeutet Abschied nehmen. Und das muss mit Courage und mit Herzblut und vor allem in letzter Konsequenz vonstattengehen. Ansonsten entsteht nicht nur einer CeBIT ein Überlebensproblem, sondern auch dem digitalen Standort Deutschland.
Gastautor Sven Hansel, IT- und Wirtschaftsjournalist
Bild: Digitaler Wandel: No Risk, no Fun, auch nicht im CeBIT-Riesenrad.
Quelle: Deutsche Messe AG