Künstliche Intelligenz ist eine wichtige Zukunftstechnologie, keine Frage. Jedoch steht KI auch stellvertretend für ein Drama in vier Akten wie es sich in der digitalen Transformation ständig wiederholt.
Die digitale Transformation hat etwas von einem Goldrausch. Manchmal reicht es bereits, ein Gerücht zu streuen, damit der Verstand aussetzt. Beginnend mit internen Inkubatoren oder digitalen Think-Tanks, die sozusagen als Goldnuggets der Weisen galten – aber natürlich nicht die Kraft hatten, ein träges, tradiertes Gesamtunternehmen im Paderborner Umland zu drehen und in einen digitalen Durchstarter zu verwandeln. Oder die sozialen Netze. Keine Frage, Facebook, Twitter, LinkedIn [&] Co. spielen weiterhin eine wichtige Rolle und gehören heutzutage in jede ganzheitliche Kommunikationsstrategie, aber die goldene Fassade bröckelt deutlich, fördert allgegenwärtig die Fratze des Hasses zutage. Und wenn ein respektierter digitaler Vordenker wieWalt Mossberg Facebook verlässt und den Wertewandel des Zuckerberg-Imperiums beklagt, dann ist das alles andere als Gerede, sondern die fundierte Meinung eines digitalen Profis.
So geschieht es dann, dass Nüchternheit einkehrt, nachgedacht wird und am Ende die Erkenntnis steht, dass sich das Eichhörnchen weiter mühsam ernähren muss. Auch digitale Technologien sind kein Charakter des Marvel-Imperiums, haben keine Superkräfte.
Die Heuschrecken sind da
Die digitalen Heuschrecken stört das aber nicht. Gestern noch haben sie teure Beratertage für den einen heißen Scheiß verkauft, wittern sie nun heute den anderen margenträchtigen für ihr Business. Es werden sich auch hier wieder genug Gierige finden, die eine schnelle Lösung ihrer Probleme erwarten. Diesmal heißt das Zaubermittel künstliche Intelligenz (KI). Dann lüftet sich der Vorhang, ein Schauspiel geht von Neuem los.
1. Akt: Der Hype bricht los. „Der europäische Markt für Künstliche Intelligenz wird von rund drei Milliarden Euro in diesem bis auf 10 Milliarden Euro im Jahr 2022 wachsen. Das entspricht einem jährlichen Wachstum von durchschnittlich 38 Prozent“, prognostiziert etwa vollmundig der Branchenverband Bitkom. Solche Zahlen gibt´s dann zuhauf, das Rennen ist gestartet.
2. Akt: Die Mischmaschine wird angeworfen. Es hat schon was von Tragik, wenn eben der Bitkom selbst in derselben Pressemitteilung mangelnde Trennschärfe produziert, und das Schicksal seinen Lauf nimmt: „Es gibt inzwischen ein breites Angebot an marktfähigen Lösungen, die Künstliche Intelligenz nutzen. Es reicht von Software-Tools, die für Sprach- oder Bilderkennung genutzt werden können über fertige Lösungen etwa für Chatbots zur Kundenberatung bis zu komplexen Anwendungen, mit denen sich personalisierte Mailings fast ohne menschliches Zutun versenden lassen“. Aua, hier wird alles zu einer Suppe verrührt, Hauptsache, die Sensation ist da.
Der entscheidende Akt
3. Akt: Die Verwirrung hat begonnen, das Chaos regiert. Es reicht, das Bitkomsche Beispiel des Chatbots zu nehmen, um das daraus entstehende Problem zu erläutern. Ein Chatbot ist – zumindest Stand heute – keine Innovation der künstlichen Intelligenz. Denn der Chatbot erkennt, erstens, in 99.9 % der Fälle lediglich Wörter und keine zusammenhängende Sprache. Die momentanen Kapazitäten von amazons Alexa verdeutlichen dies beispielsweise. Darüber hinaus ist er, zweitens, (noch) nicht lernfähig.
Das liegt daran, dass – siehe Mischmaschine – KI mit dem bereits etablierten Machine Learning in einen Topf geworfen wird. Maschinelles „Lernen“ heißt, dass beispielsweise Softwareroboter Abläufe beigebracht bekommen. Sie erkennen etwa bestimmte Formularfelder, können Post sortieren und von einer Applikation in die nächste sortieren. KI allerdings kommt dann ins Spiel, wenn eine Software Kontext erkennt, fortlaufend dazulernt und sozusagen weiß, dass es um den Sachverhalt X, Y oder Z geht und diesen dann einem Sachbearbeiter eindeutig zuordnen kann. Hierfür kommen Technologien wie Cognitive Computing zusätzlich mit ins Spiel, wie in diesem Artikel treffend dargelegt wird.
Das Geld geht in den Orkus
4. Akt – Schlussakt: Das Drama beginnt, es wird Geld versenkt. Selbst große und Großunternehmen kommen dann zur Erkenntnis, dass sie einem Hype aufgesessen waren, sie zu früh in eine noch unreife oder vielleicht gar mangelhafte Technologie investiert haben – die Heuschrecken jedoch sind bereits wieder weitergeflogen.
Fazit: Geschwindigkeit, Flexibilität, Agilität, Innovationsfreude – sind aus guten Gründen die Vokabeln, die die Diskussion um die Digitalisierung beherrschen. Indes dürfen diese Begriffe nicht mit Panik, Aktionismus oder Gier verwechselt werden. Mitunter gilt es Tugenden wie Besonnenheit an den Tag zu legen. Das hat auch in der jetzigen Zeitenwende Geltung.
Gastautor Sven Hansel, IT- und Wirtschaftsjournalist
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